1928

Gertrud von Le Fort, Das Schweißtuch der Veronika, Kösel e Pustet, 1928, Monaco, Germania.

Meine Großmutter hat später behauptet, es sei der Trost des unvermutet hervorbrechenden Lichtes gewesen, welches mich auf die Knie geworfen habe. Aber dem war nicht so. Zwar fühlte ich wie alle anderen dieses jetzt aus der Höhe niederströmende Licht we etwas fast Rettendes; ich hörte von dem Balkon über uns Geläut und sah dort oben das weiße Leuchten priesterlicher Gewänder; ein geheimnisvoller Gegenstand wurde erhoben: ich erkannte nichts, aber ich fühlte dieselbe unaussprechliche Ergriffenheit wie damals beim Anblick der Monstranz, ja ich glaubte sie zu sehen, nicht mich meinen Augen, sondern mit meiner Liebe.

– Aber, was tust du denn, Veronika? – fragte meine Großmutter und beugte sich zu mir herab.

Ich lag wie alle anderen auf den Knien, nicht wissend, dass ich es tat, hingezogen und zuerst den Anruf gar nicht vernehmend.

– Steh auf – sagte meine Großmutter fast strenge, es ist selbst der Ehrfurcht nicht erlaubt zu knien, wenn sie nicht weiß wovor.

Sie reichte mir die Hand und zog mich mit Entschlossenheit empor; dabei fiel mein Blick auf Enzio, der mich mit sonderbar kalten Augen unbeweglich ansah.

Droben auf dem Balkon verschwanden jetzt die Priester. Die menschenbewegten sich wieder; alles schien vorüber.

Plötzlich sagte Enzio:

– Ihr habt dieses Kind nicht mit Unrecht Veronika genannt. Ich vermute wenigstens, daß jene Heilige die Schuhpatronin der Eindrucksfähigen ist, und von Veronika weiß man schließlich auch nichts anderes.

Er sagte dies nicht gut, er sagte es fast böse. Ich fühlte einen undeutlichen Schmerz, aber er kam noch nicht ganz an mich heran. Erst als meine Großmutter Enzio antwortete, begriff ich, daß er mich in diesem Augenblick wirklich verleugnen wollte, und zwar gerade in dem, worin er mich sonst am meisten geliebt hatte. Aber merkwürdigerweise erschien mir das ganz natürlich.

Meine Großmutter hielt indessen immer noch meine Hand fest, als fürchte sie, ich könne unversehens wieder niederknien. Ich sah, wie sehr ich sie bestürzt hatte. Es tat mir weh um sie, aber auch das war wiederum, als müsse es so sein.

Während wir langsam durch das matterleuchtete Schiff der gigantischen Kirche dem Ausgang zuschritten, erklärte uns meine Großmutter dann nachträglich den Sinn der Feier. Auch über die Reliquie der Heiligen Veronika und ihre hole Bedeutung am Schluß des Miserere sprächt sie, ja sogar besonders schon: so, als wolle sie mit ihren Worten die peinlichen Eindruck von Enzios Ausspruch aus der Welt schaffen. Sie ahnte nicht, daß ich mir dabei bewußt wurde, zum erstenmal das Bildnis des Dornengekrönten liebend gegrüßt zu haben.

Wir hatten eigentlich erwartet, Enzio werde bald nach Ostern abreisen, den seine Mutter drängte bereits seit geraumer Zeit in ihren Briefen zum Aufbruch, da sie anfing, der Riviera überdrüssig zu werden und heimzuverlangen. Ich war daher besonders schmerzlich bettoffen, daß Enzio mir den Vorfall in St. Peter so ernstlich und offensichtlich nachtrug, auch merkte ich wohl, es stand jetzt etwas ganz anderes zwischen ihm und mir als nur seine Arbeit. Daran dachte doch aber Veronika nichts Meine Großmutter war über diese Antwort irgendwie erfreut gewesen; vielleicht hatte sie darin ein Zeichen gesehen, daß er mich im Grunde doch noch immer ausschließlich für sich beanspruche. Ich selbst hatte mich nicht freuen können, und Enzio hat mir ja auch wirklich später gesagt, es sei ihm damals unerträglich gewesen, mich knien zu sehen, und er habe diesen Anblick nie wieder vergessen können.

Aber auch meine Großmutter zeigte mir seit jenem Abend eine Unruhe, deren Dauer mich bedrückte. Sie ließ am folgenden Tag Enzio allein in die Kirche gehen, und ich glaußte zu wissen, daß sie Bedenken trug, mich den Eindrücken jener Zeremonien noch-mals auszusetzen. Wie nachdrücklich sie sich mit meinem unerwarteten Niederknien in St. Peter beschäftigt hatte wurde mir dann noch durch eine kleine Ermahnung klar, die sie mir am anderen Morgen unter vier Augen zuteil werden ließ, und deren Ernst ich nicht verkannte, obwohl sie ihn in eine so reizende Form kleidete, daß er eigentlich viel eher einem Trost als einer Zurechtweisung glich. Sie knüpfte nämlich noch einmal an Enzios unfreundliche Bemerkung an, indem sie mir erzählte, mein Vater, der gelehrte Naturforscher, habe früher gern darüber gescherzt, wie passend er es doch fände, daß sein Töchterchen einen botanischen Namen trage, denn bekanntlich sei Veronika die lateinische Bezeichnung für das kleine, wilde Blumenkraut des Ehrenpreis. Ich selbst aber, so fuhr meine Großmutter fort, sei gleich damals, als man mich benannt habe, die Gestalt der christlichen Legende eingefallen, über welche sie genau das Gegenteil denke wie Enzio. Sie sehe in ihr das verehrungswürdige und rührende Vorbild einer unwandelbaren Tiefe und Treue, welche restlos gesammelt auf die eine große Wahrheit ihres Lebens das Bild ihres Herrn und Meisters unerschütterlich festhalte und bekenne. Ieder Mensch, so schloß meine Großmutter, fange sozusagen als eine kleine wilde Pflanze an, und als solche sei es auch mir lange hingegangen, mich Sonne oder Wind, wie sie mir eben begegneten, blindlings zu neigen. Jetzt aber werde es hohe Zeit, mit diesem ersten Sinn meines Namens zu brechen und sich auf seinen höheren zu besinnen, , welcher eine große Verpflichtung bedeute.

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